Als meine Oma 10 war, das war 1923, kostete ein Stück Brot mehrere Millionen Mark, es war die Zeit der Hyperinflation, die jeden Wohlstand, alle Ersparnisse und Zukunftsaussichten sprichwörtlich vernichtete.
1945, als meine Oma 32 war, hatte sie schon zwei Weltkriege erlebt und überlebt – außerdem den Tod vieler Angehöriger, unzählige Luftangriffe, den Untergang des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des 3. Reiches, eine Weltwirtschaftskrise, Hungerwinter und vieles mehr. Trotzdem war sie bis zum Ende ihres Lebens - sie starb 2009 in einem biblischen Alter – eine herzensgute Frau, die ihr Leben gemeistert, meinen Papa am Ende des 2. Weltkrieges (1944) geboren und ihn in den Nachkriegswirrungen allein großgezogen hatte und sich dann später immer liebevoll um ihre Enkelkinder gekümmert hat.
Ich wollte Dir davon erzählen, dass Mama und ich in den letzten Jahren vor Eurer Geburt noch die ganze Welt bereisen durften. Wir sind bis zur anderen Seite der Welt nach Australien gereist. Es gab noch so genannte Grundrechte, die über 70 Jahre erstritten und geschützt wurden. Wir waren zumindest hier in Europa freie Menschen, die überall hinreisen durften und überall ihre Meinung sagen durften, ohne dass sie dafür bestraft wurden.
Das war schon damals keine Selbstverständlichkeit in weiten Teilen der Welt. Und ich wollte Dir erzählen, dass sich alle Menschen in den letzten Jahren mit steigender Geschwindigkeit und unbekanntem Ziel auf einer unbekannten Reise befinden und die Kluft zwischen einer kleinen Elite, die sich die erlesensten Früchte der Moderne aneignet und den ganzen großen Rest der Weltbevölkerung, der von dieser Elite wie in einer Sanduhr ins Verderben getrieben wird, immer gigantischer wird. Die Globalisierung mit ihren Merkmalen des hochmobilen Kapitals, der rasanten Kommunikation und der raschen Mobilisierung hat weltweit zu einer Schwächung der konventionellen Regierungsformen geführt, ob in den westlichen Demokratien oder in autokratischen Regimen.
Diese Entwicklung des so genannten „Korporatismus“ und „Neoliberalismus“ begann schleichend und vollzieht sich nun in Lichtgeschwindigkeit.
Ich habe Dir diese Geschichte nicht erzählt, weil Du diese Dinge mit Deinem unbedarften und unschuldigen Blick eines 4-jährigen jungen Mannes sicher noch nicht verstanden hättest. Ich habe zu Dir stattdessen gesagt:
„Lass uns in den Garten gehen!
Hörst Du, wie die Vögel zwitschern, die sonst alle paar Minuten von den Flugzeugen, die vom benachbarten Flughafen Hannover aus starten, verstummt werden?
Siehst Du den tiefen blauen Himmel, der nicht mehr von den vielen Kondensstreifen der Flugzeuge ‚zerschnitten‘ wird?
Siehst Du die Rehe, die sich wieder aufs Feld trauen, weil so wenig Menschen draußen spazieren gehen?
Bald wirst Du wieder mit Deinen Freuden spielen können. Das verspreche ich Dir!“
Wir schauten uns an und nahmen uns in die Arme…
Diese Dokumentation ( https://www.youtube.com/watch?v=nxx3gpyAkkc&list=PL7lDfsn_lG_ZuesdMZ3YkOukxBxdc2NeJ&index=1 ) soll ein Zeitzeugenbricht sein, ein Beweis dafür sein, wie wir von der Propaganda von Politik, Konzernen und Medien in eine neue (unfreie) Welt getrieben wurden, von der ich – Dein Vater – nur eine Vorahnung hatte. Was die Zukunft wirklich bringt, das weiß ich am heutigen Tage natürlich nicht…
Ich liebe Dich!
Dein Papa